Die Welt steht Kopf…

Ein herzlicher Empfang...

Was für eine Woche! Mit Kopfsprung ins kalte Wasser, und das mir…wo ich doch so gerne Hilfe an meiner Seite weiß…aber Marc ist ja da!

Da wollte ich eigentlich am Montag nur über Carls erfahrene Schulter schauen, sehen, wie er die Aufnahme führt, wie er die gängigen Krankheitsbilder behandelt, und plötzlich steht da Alfonso und bietet sich als Übersetzer im Nebenzimmer an…es wären so viele Patienten da…
Und schon war ich „Dr. Katrin, die Ärztin in Aufnahmezimmer 4“. Und es ging nicht (wie versprochen) mit Husten und Schnupfen los, nein…das erste Kind war 3 Monate alt, ziemlich beeinträchtigt, läuft inzwischen längst unter der Verdachtsdiagnose einer RSV-Bronchiolitis, hatte bis Samstag(5 Tage) Sauerstoffbedarf, inzwischen sieht er wieder fit aus. Eigentlich ein Standardfall, wie zu Hause, aber so ohne Monitorüberwachung und ohne Infusion…man musste schon mal ein wenig denken… Der zweite Patient hatte eine Bindehautentzündung, Fieber seit 3 Tagen, Abgeschlagenheit, und dann habe ich da so einen Hauch eines Ausschlags seitlich an den Wangen gesehen…war komplett geimpft, nur Masern waren irgendwie unter den Tisch gefallen…ja, das hat sich jetzt erübrigt…und wir haben nach langer Zeit mal wieder lehrbuchreife Koplik-Flecken gesehen. Da gab es dann eine große Portion Vitamin A und ab nach Hause. Bis hierher waren ein paar Minuten rum, und es ging erst richtig los…Endlich auch die versprochenen banalen Luftwegsinfekte, Lymphknotenschwellungen (hier haben wir an unsere liebe Oberärztin zu Hause gedacht, ja Katja, wenn es abszediert, ist es außen rot und warm…). Da ist unser „Sir Raymond“, der Pfleger im „Emergency-Room“ Gold wert. Völlig selbstständig übernimmt er die kleine und mittelgroße Chirurgie, spaltet Abszesse, versorgt Biss- (die allgegenwärtigen Hunde), und Brandwunden. Und notfalls entfernt er noch Fremdkörper aus verschiedenen Körperöffnungen… Z.B. den Stein, den ein Mädchen sich im Alter von 2 Jahren ins Ohr gesteckt hat…inzwischen war sie 5, alle waren sicher, nur Ohrenschmalz zu sehen, nein, nach Einweichen und Spülen kam tatsächlich ein Stein zum Vorschein!
Im Mai-Dienstplan tauchen wir dankbarerweise noch nicht auf, dennoch gab es einen ersten nächtlichen Notruf. Mittwochnacht um 3 Uhr klopfte es vorsichtig an unsere Schlafzimmertür, es sei gerade ein Frühchen geboren, auf dem Weg von zu Hause auf einem Billiardtisch am Strassenrand (!), weil die Wehen zu stark wurden, Carl sei schon im Kreissaal, ob wir dazukommen würden. Da war ein 1500g-Winzling, eiskalt (das Thermometer konnte nicht messen), aber dafür recht fidel. Also ab in den Brutkasten, mit einer deutlich überdimensionierten Mütze, einer Riesenwindel und einem Body, in den er vielleicht in 3 Monaten passt… Wir waren doch etwas überrascht, als bei Tageslicht ein geschätztes Schwangerschaftsalter von 36 Wochenherauskam. Die Kinder sind hier einfach etwas kleiner, als zu Hause, über 3000g sind nur die „Moppelchen“! In diesem Fall war es aber natürlich trotzdem ein zu geringes Wachstum in der Schwangerschaft…und jetzt istWachsen angesagt!

So hielt die Woche uns in Atem, ein 33-jähriger Mann im akuten Nierenversagen, eigentlich nur ein Zufallsbefund bei Gonorrhoe… so ein Krea von 6 mg/dl sieht man bei uns nicht jeden Tag, aber ein sonographischer Blick auf die Nieren zeigte neben unzähligen Zysten eigentlich nichts…jedenfalls kein Nierengewebe.
Eine Frau mit dickem Bauch…wurde reflexartig zur Gynäkologin geschickt, die sah nur Wasser im Bauch, jetzt wird die Tuberkulose behandelt…
Im Gegensatz hierzu die junge Frau mit den Bauchschmerzen…hatte ihre…ich weiß nicht wievielte Nierenbeckenentzündung, beim sonographischen Blick fiel nebenbei aber noch ein kleines Gummibärchen in der Gebärmutter auf…herzlichen Glückwunsch!
Weniger fröhlich macht die Geschichte der 29-jährigen Frau mit Zahnfleischbluten…das Blutbild war sehr einfach als Leukämie zu beurteilen (für Kollegen: 55tsd Leukos, 96% Lymphozyten, 80tsd Thrombos, Hb 5,2, inzwischen Hb 3,7 nach weiterer Blutung), und eine Therapie ist hier aus finanziellen und organisatorischen Gründen nicht möglich…
Ziemlich traurig wird man auch, wenn man die unterernährten Kinder sieht… Mit spindeldürren Ärmchen und Beinchen (wenn der Umfang des Oberarmes (6 Monate bis 5 Jahre) unter 115mm liegt, werden sie als unterernährt behandelt, ich habe am Freitag ein Kind mit einem Armumfang von 82mm gesehen…probiert es mal zu Hause mit einem Maßband aus…), oder mit z.T. massiven Wassereinlagerungen, aufgequollen, mit furchtbaren Hauterscheinungen, Ausschlag, z.T. aufgerissen… Hier ist es aber schön, zu sehen, wie gut inzwischen die Ernährungsprogramme funktionieren, wie schnell aus kleinen jammernden Häufchen wieder Flirtwunder werden (wir haben da einen interfamiliären Wettstreit laufen, wer bringt welches Kind das erste Mal zum Lachen…). Noch schöner wäre es, wenn die Therapie zu Hause konsequent weitergeführt würde… Die Eltern sollen sich wöchentlich die kalorienreiche Nahrung für ihr Kind abholen, können sich aber z.T. die Fahrtkosten (meist ca. 1-2Euro, Tagesverdienst eines Arbeiters) nicht leisten.
So sind wir schon mittendrin im Trubel. Dienstzeit 8-18 Uhr, dazwischen Pause von 12-13.30 Uhr (alle lassen Schlag 12 den Stift fallen: „Lunchtime!“), z.T. sind noch Ruhephasen dazwischen, je nach Ambulanzauslastung, aber da schreibt man Entlassbriefe (ja, auch hier!), schaut mal nach den stationären Kindern, und, und, und.
Und dann muß noch regelmässig nach dem Wasserstand geschaut werden. Es regnet hier relativ viel…täglich seit wir hier sind. Und mit jedem Regen (immer sturzbachartig!) schwillt der Wasserpegel im Bach hinter unserem „Doctors House“ rapide und z.T. bedenklich an. Die Markierungen an der Küchenzeile erinnern an die Hochwasser der letzten zwei Jahre… etwa auf Kniehöhe. Also hängen inzwischen alle Möbel auf Hüfthöhe (Kleiderschränke, Bücherregale), wir lassen möglichst nichts auf dem Boden liegen, wer weiß, sonst wacht man morgens auf und die Flip-Flops schwimmen an einem vorbei… Die hiesige Fauna ist auch nicht zu mißachten, so sitzen unzählige Frösche/Kröten rund um unser Hause und balzen, was das Zeug hält, die ganze Nacht. Nachts postieren sich die dicksten Exemplare direkt vor unserer Tür, weil dort im Licht leckere Mücken rumschwirren. Und da die Kröte an sich nicht sehr clever ist, springen sie dann ständig gegen die Tür (gibt immer nen ordentlichen Knall) oder, wenn wir uns nähern, bevorzugt mitten in den einzigen Kaktus weit und breit. Auf den umgebenden Wiesen grasen Pferde und Wasserbüffel in freundlichem Miteinander. Und die Insekten sind überhaupt der Knaller. Die treten niemals in Misch-Schwärmen auf, sondern fein sortiert, nach Tagen! Einen Abend gab es kleine geflügelte Ameisen im ganzen Haus, dann war alles voller Ahorn-Samen-ähnlicher Falter, und vorgestern kamen plötzlich tausende kleiner schwarzer Käfer, etwa von Marienkäfer-Dimension unter der Haustür durch. Spinnen? Bisher nur eine relativ große, wurde von Marc tapfer mit dem Besen vor die Tür gekehrt. Und allgegenwärtig die Mini-Ameisen. Wir haben tagelang nicht verstanden, warum plötzlich eine Ameisenstrasse quer durch unser Zimmer führte, bis wir auf der Suche nach Papieren in die Handtasche sahen. Und da fanden wir die Rolle „Nimm2“. War noch fast voll, es fehlten nur zwei Bonbons…und jetzt voller Ameisen, glücklich im Schlaraffenland.
Also, unser Tag ist voller Herausforderungen, beruflich und privat. Aber die Mitarbeiter sind freundlich, eifrig und geduldig, wenn unser englisches Fachvokabular einmal hakt. Die philippinischen Ärzte sind wissbegierig, noch recht frisch im Job, aber auch sehr bemüht. Und trotz wachsender Selbstzweifel sind wir weiter motiviert, unser Bestes zu geben…mal sehen, ob das reicht. Hier werden oft die erfahreneren Ärzte der Organisation eingesetzt, und wir merken, dass wir als „Greenhorns“ doch recht naiv sind. Wenn die gewohnten Medikamente fehlen, plötzlich völlig andere täglich zum Einsatz kommen (für Kollegen: Chloramphenicol wird fast täglich verordnet, Ciprofloxacin für Kinder zumindest regelmässig), die Infusionslösungen anders heißen, als zu Hause und auch anders eingesetzt werden (wieder für Kollegen: Defizitausgleich bei Dehydratation mit 1/3-isotoner Lösung…), da gerät man schnell ins Schwitzen.

Das ist paediatrische Schwerstarbeit...

Manchmal regt sich leise Heimweh…danke für die liebe Kommentare und Mails, so fühlen wir uns nicht ganz so weit weg… Schön wäre, wenn gerade ein paar Schwestern von zu Hause einfliegen könnten, denn bei aller Freundlichkeit, so ein bisschen Zunder könnten die Damen mal gebrauchen…vielleicht könnte unser geschätzter Stationsleitungs-Stammtisch den nächsten Ausflug hierher machen?Wir könnten Unterstützung brauchen… Wie auch immer, unsere Ärmel sind hochgekrempelt, heute Abend haben wir unsere Ambulanzzimmer entrümpelt und geputzt, auf in den Kampf…

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